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Alte Postkarte von Oberlützingen

Auszug aus der Festschrift von 1997

Dorfchronik
Das frühere Oberlützingen. Zusammengestellt von Karl Schäfer, Rektor a.D.

Die Selbständigkeit der früheren Gemeinde Oberlützingen endete am 8.Juni 1969 mit dem Anschluß an die Ortsgemeinde Burgbrohl. Dieser fand im Rahmen der damals durchgeführten Kommunalreform in Rheinland-Pfalz und nach Mehrheitsbeschluss der letzten Gemeindevertretung statt.
Der Ortsteil liegt auf der Nordseite des unteren Brohltals am Westrand der sogenannten „Lützinger Höhe", die im Osten an die Rheinhöhen grenzt und im Norden an das Vinxtbachtal. Die westliche Seile erstreckt sich über das große Waldgebiet des "Scheid" in etwa gleicher Höhe von rund 250 m über NN.

Wie in fast allen einstmals ländlich orientierten Gemeinden im näheren und auch weiteren Umkreis, hat sich in Oberlützingen in den letzten Jahrzehnten ein erstaunlicher und bemerkenswerter Wandel vollzogen. Aus einer überwiegend landwirtschaftlich bestimmten und ausgerichteten Gemeinde ist eine Wohnsiedlung entstanden, die kaum in irgendeiner Art und Weise eine bäuerliche Prägung aufweist und die aus einer früher fast konstanten Zahl an Einwohnern eine regelrechte Bevölkerungsexplosion zu verzeichnen hat. Wahrend um die Jahrhundertwende bis weil in die fünfziger Jahre durchweg um die dreihundert Menschen in Oberlützingen wohnten, hat mittlerweile die Einwohnerzahl die 500er Marke längst überschritten, und ein Ende des Zuwachses ist noch nicht abzusehen. Über die Entstehung und über das genaue Alter des Ortes liegen keine gesicherten Angaben vor. In der Chronik des Dorfes hat Lehrer Sprengnether, der fast ein halbes Jahrhundert hier gewirkt hatte, im Jahre 1894 folgende Aufzeichnung niedergelegt:

Welcher von den bei den Orten Oberlützingen und Niederlützingen (heute Brohl-Lützing 2) der ältere ist und wann diese Orte gegründet wurden, lässt sich nicht angeben; auch die Sage ersetzt in diesem Fall nicht die Geschichte. Im 12. Jahrhundert kommt nur ein einziger Ort Luzino oder Lützink vor.

Gebäude, die auf ein hohes Alter schließen ließen, sind nicht mehr vorhanden. Denkmale, Grab- und Wegekreuze haben Jahreszahlen bis hin ins 17. Jahrhundert. Bei einem Neubau im Oberdorf wurden im Jahre 1887 beim Ausschachten der Fundamente römische Urnen, wohl erhalten. in symmetrischer Aufstellung gefunden, teils leer, teils mit Knochenresten angefüllt waren.

Diese Funde wurden wie viele andere Zeugnisse aus der römischen Zeit in das Rheinische Landesmuseum in Bonn gebracht. Es kann also angenommen werden. dass schon in dieser Zeit eine Besiedlung hier auf der Höhe bestanden hat. Die Römer, die im unteren Brohltal intensiv die Traßgruben ausbeuteten und auch schon die zahlreichen Kohlensäurequellen fassten, verehrten auf den Höhen ihre Gottheiten . Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass der zur Gemarkung des Ortes gehörende Lavalithkegel des Herchenberges damals eine dominierende Stellung einnahm.
(Der Name dieses Berges wird von "Herkules" = dem Gott der Steinmetze abgeleitet.)

Die Nachsilbe "ing" bedeutet "zugehörig" und weist auf einen germanischen oder genauer gesagt, auf einen fränkischen Gründer mit Namen Lutz oder Luzzo (Verkleinerung von Ludwig) hin. Die Zeit der Feudalherrschaften, die im frühen Mittelalter einsetzte und die ihre Ausprägung in der Bildung kleiner und kleinster Besitztümer sah, führte in unserem Heimatgebiet zur Bildung des .Breisiger Ländchens") das als Eigentum eines fürstlichen Damenstifts jahrhundertelang die territoriale Angrenzung darstellte.

Älteren Oberlützingern mag der in der Ortsmitte gelegene Gemarkungsteil “Steinebungert" bekannt sein. Er ist mit der Sage vom "Mölemännche" und von der „Herchenbergsiuffer" eng verbunden und lässt die Deutung zu, dass sich einmal in Oberlützingen ein Richtergeschlecht befunden haben könnte. Eine urkundliche Belegung für die Annahme ist jedoch nicht vorhanden.

Eine genaue Angabe über das Bestehen zweier selbständiger Orte hier auf der Höhe findet sich verhältnismäßig spät. Erst im Jahre 1486 wird in einem Teilungsvertrag ausdrücklich die „Pastorei Ober-Lützinc" benannt. Die Oberlützinger Kirche dagegen wird schon im Jahre 1330 in einem Verzeichnis der Erzdiözese Trier aufgerührt, wobei außerdem das Patronizium des hl. Martinus von Tours auf eine alle christliche Kultstätte aus merowingischer Zeit hinweist.

Das Patronatsrecht über die Oberlützinger Kirche übten die Herren von Burgbrohl aus. Im Mittelalter waren es die Herren von Braunsberg. später bis zur Säkularisation im Jahre 1802 waren es die Herren von Bourscheidt. Die Abtei Maria-Laach besaß in dieser Feudalzeit Besitztümer in Oberlützingen: so wird in einer Erwerbsurkunde aus dem 18. Jahrhundert der Abt Clemens Aach genannt. Die Ländereien, die das Benediktinerkloster hier besaß, bestanden hauptsachlich aus Weinbergen. Die Gemarkungsnamen "Alter Hof" lind „Laacher Hof“ erinnern an diese einstigen Besitzrechte. Sie weisen aber auch darauf hin, dass auf der Lützinger Höhe Weinbau betrieben wurde, sowohl an den Hängen des Herchenberges. als auch im Distrikt oberhalb des "Pfaffentales", wo heute noch der Name "Wingert" geläufig ist.

Über die damaligen gewerblichen und beruflichen Strukturen des Ortes werden folgende Angaben gemacht:

"Die Bewohner von Oberlützingen betreiben im Hauptberuf Ackerbau und gebrauchen hierbei Ochsen als Zugtiere, nur wenige Pferde, verkaufen fette Ochsen und Schweine, besitzen etwas Weinberg im Pfaffental. Die Trauben werden meistenteils nicht am Orte selbst gekeltert, sondern an Zwischenhändler verkauft. Übrigens werden viele Weinberge ausgerodet (um 1900), weil Weinbergsarbeit weniger lohnend erscheint als die Arbeit in der Industrie.

Außer vorgenannten landwirtschaftlichen Erwerbszweigen findet sich für die meisten Bewohner, besonders bei den jüngeren männlichen Personen. lohnende Beschäftigung in den Steinbrüchen, Traßgruben, Traßmühlen und Fabriken des Brohltals. sowie in den Tongruben in der Umgebung des Herchenberges. Hier befinden sich mehrere Ton- und Sandgruben (wahrscheinlich ist damit Lavalith gemeint). Die Gruben befanden sich ursprünglich in verschiedenem Privatbesitz, gingen dann aber an Aktiengesellschaften über (Die Firma .Stein- und Ton, Fabrik für feuerfeste Produkte", um 1900 in Burgbrohl gegründet, heute in Urmitz / Rhein).

Dieser Tön, zum großen Teil aus der Gemarkung Oberlützingen, wird zu feuerfestem Mörtel bei Hochöfen und anderen Steinen und Ziegeln verwandt. Die Gewinnung dieses Tons geschieht durch Bauen von Schachten und Stollen, die nach teilweiser Ausbeutung, trotz Ausbau mit Fichtenholz, durch seitlichen und senkrechten Druck bald einstürzten.

Der Herchenberg. nordwestlich des Ortes gelegen, erreicht zwar nur eine Hohe von 309 Meter über NN, überragt aber mit einem kahlen, unbewaldeten Gipfel eindrucksvoll die Umgebung und galt über Zeiten hinweg als bestimmendes "Wahrzeichen" des unteren Brohltals. Nach dem zweiten Weltkrieg tauchten zuerst Gerüchte auf, dass die Lavavorkommen des Berges abgebaut werden sollten, woran niemand so recht glauben wollte, da allgemein die Auffassung vertreten wurde, dass der Berg mit seiner vulkanischen Eigenart unter Landschafts- und Naturschutz stünde.

Die Interessen der "Steine und Erden Industrie" wurden jedoch vorrangig gesehen, so dass nach und nach, gewissermaßen "scheibchenweise", die Abbaugrenzen immer weiter gezogen wurden. Anfang der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts war es schließlich soweit, dass auch der Gipfel des Herchenberges den Raupen und Baggern zum Opfer fiel. Damit gingen unwiederbringlich landschaftliche und geologisch einmalige Zeugnisse aus der Entstehungsgeschichte der Erde verloren. Was sich heute, zum Ausgang« unseres Jahrhunderts, im Bereich dieses einstigen Bergkegels darbietet, ist eine trostlose Kraterlandschaft, die zwar In den einzelnen Farbschichtungen des Vulkangestein interessante geologische Aufschlüsse zeigt, von der Schönheit und Majestät früherer Ansichten jedoch nichts mehr ahnen lässt.

Ein kleiner Trost mag es damals, in der Phase des endgültigen Verschwindens des Berges, für die Oberlützinger gewesen sein, dass mit dem Zufluss der Pachteinnahmen vom Herchenberg der Bau der Wasserleitung in Oberlützingen finanziert werden konnte. Oberlützingen. auch das gehört zur Darstellung in einer Chronik, solange es selbständig war, galt als eine "arme" finanzschwache Gemeinde, die bei sparsamster Haushaltsführung fast immer mit einem Defizit in der Haushaltskasse zu kämpfen hatte.

Das wird auch deutlich bei der Schilderung der früheren Verkehrsverhältnisse zur und auf der Lützinger Höhe, denn wie auch für die Nachbargemeinde Niederlützingen, waren die Zustände des Straßenwesens eine permanente Kalamität. Zum Amtsort Burgbrohl, mit seiner Funktion als wichtiges Unterzentrum. bestand lediglich eine fußläufige Verbindung über den .Eselsweg" und durch das "Wiesental". Die Fuhrwerke, die von der Höhe zur Bahnverladestation in Niederoberweiler unterwegs waren, mussten sich über einen (eisigen und abschüssigen Feldweg durch das "Nückental" quälen.

Bereits vor dem ersten Weltkrieg hatte man in Oberlützingen den Versuch unternommen, ein Straßenbauprojekt in Angriff zu nehmen.

Im Beschlußbuch der Gemeinde ist darüber wie folg! berichtet

09.08.1913

"Der Gemeinderat beschließt. den Ausbau eines Kommunikationsweges von Oberlützingen nach Burgbrohl, entsprechend dem vom Kreisbaumeister zu Mayen festgestellten Projekt nebst Kostenvoranschlag, dessen Höhe sich einschließlich Grunderwerbskosten auf 31.500 Mark stellt . Der in Aussicht gestellte Wegebau ist für die nördlich des Brohltals gelegene Gemeinde ein besonders in wirtschaftlicher Hinsicht längst dringend empfundenes Bedürfnis, weil zudem an der Hauptverkehrsstraße im Brohltal gelegen, direkt angelnandergeschlossene Orte Burgbrohl und Niederoberweiler, die nächste Eisenbahn- und Güterfrachtstation euch Sitz der Verwaltungsbehörde. Arzt und Apotheke sind, keine regelgerechte. sondern nur schlechte und steilhängige Wege führen, die nur mit kleinen Lastern befahren werden können.

Den Weg aus eigenen Mitteln zu bauen, ist die Gemeinde, die sich lediglich aus kleinen Ackerern. zwei Gewerbetreibenden, im übrigen aus Tagelöhnern und Fabrikarbeitern ergänze außerstande, zumal die Gemeinde vor die Forderung der Schaffung einer neuen Wasserversorgungsanlage gestellt ist. Die Kosten des Ausbaues sollen in der Weise aufgebracht werden, daß aus Provinzialfonds. auch aus dem Kreis, möglichst hohe Wegebeihilfen erbeten werden ..."

Der erste Weltkrieg machte aIle Pläne zunichte. Doch gelang es, insbesondere durch Bemühungen des Amts-Bürgermeisters Fritz Beck aus Burgbrohl, selbst in schwieriger Inflationszeit von 1923, den Straßenbau durchzuführen. Die Finanzierung erfolgte durch die damals bestehende "Rhein- und Ruhrhilfe", ausgelöst durch den "passiven Widerstand" gegen die französische Besatzungsmacht. Der Straßenbau wurde erst 1926 fertig gestellt und feierlich eingeweiht. Die Straße erhielt dabei den Namen des Initiators "Fritz-Beck-Straße", den sie bis heule als K 69 beibehalten hat.

Die Innenausstattung der Kirche ist in den letzten Jahrzehnten nach den Forderungen des zweiten vatikanischen Konzils umgestaltet worden. Aber einige auch kunsthistorisch bedeutende Stücke 5ind nach wie vor Kostbarkeiten für die Filiale, so wird in dem Standardwerk "Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz" (von Paul Clernen) neben einer barocken Figur "Madonna mit Kind" die ebenfalls barocke Gruppe "Der heilige Martinus zu Pferd mit Bettler" aus dem 17. Jahrhundert besonders hervorgehoben. Die Oberlützinger Kirche verfügt außerdem seit 1987 mit dem "hängenden Tabernakel" über ein überregional beachtetes Kunstwerk, das von dem international renommierten Künstler Ulrich Henn, der aus der Eifel stammt. aus Bronze geschaffen wurde.

Bei dem Erdbeben im Jahre 1992 wurde die Kirche schwer in Mitleidenschaft gezogen. 11 Monate dauerten die Arbeiten zur Wiederherstellung. seitdem ist sie aber wie früher, eine bauliche Zierde des Ortes.

Die einklassige Volksschule von Oberlützingen. die über einhundert labre bestand, wurde 1970 aufgelöst. Die schulpflichtigen Kinder der Gemeinde besuchen die Grundschule in der Kerngemeinde Burgbrohl und die weiterführenden Schulen im Umkreis.

Aus dem 1939 neu erbauten Schulgebäude ist nach mehrmaligem Umbau mit Modernisierung und Erweiterung das Dorfgemeinschaftshaus "Alte Schule Oberlützingen" entstanden.

Seit einigen Jahren gibt es in Oberlützingen keine Gastwirtschaft mehr und so ist mit der "Allen Schule" ein wichtiges Kommunikationszentrum geschaffen worden, das sowohl von den örtlichen Vereinen, wie auch von der Gemeinde selbst rege in Anspruch genommen wird. Auch für private Feiern oder andere Anlässe sieht diese räumliche Möglichkeil zur Verfugung.

Wenn auch der Ort mit seinen gut ausgebauten Straßen und den gepflegten Neubaugebieten insgesamt ein gutes Bild bietet, so kann doch nicht übersehen werden, dass es an einer gut ausgeprägten Infrastruktur mangelt. Ein Lebensmittelgeschäft und gastronomische Angebote fehlen, eine kleinere, von einem holländischem Mitbürger betriebene Privatpension. kann dieses Defizit nicht ersetzen. Oberlützingen ist zwar an den öffentlichen Nahverkehr, der mit Linienbussen der Brohltalbahn betrieben wird, angeschlossen. Im wesentlichen jedoch sind die Bewohner zur Bestreitung ihrer Lebensbedürfnisse auf Fahrten in die Nachbargemeinden angewiesen. Für nicht motorisierte und ältere Menschen ist dieses beschwerlich und umständlich.

Gegenwärtig war eine hitzige Auseinandersetzung um den Standort eines Kindergartens entbrannt, der bei dem erfreulich angestiegenen Zuwachs an jungen Familien mit Kleinkindern durchaus seine Berechtigung hätte. Die Burgbrohler Gemeindevertretung hat jedoch dem größeren Ortsteil Weiler den Vorzug gegeben, und so müssen sich die Oberlützinger damit abfinden. weiterhin diese wichtige schulische Einrichtung, entweder in Niederlützingen oder in Burgbrohl aufsuchen zu müssen.

Alles in allem bleibt festzuhalten, dass der Ortsteil Lützingen baulich und bevölkerungs-mäßig eine gesunde Struktur aufweist, die aufgrund der ausgesprochen günstigen Höhenlage, wie auch von der allgemeinen Lebensqualität den hier wohnenden Menschen etwas zu bieten hat. Der Ort kann durchaus als lebenswert bezeichnet werden und verspricht auch für die Zukunft gute Perspektiven.